Wenn nicht die sozialen Medien, sondern der Krieg den Schlaf raubt


Fotos: privat
Zu wenig Schlaf
„Hej du, warum schläfst du nicht?“
„Ich hab Prüfungsstress.“
„Welche Prüfungen?“
„Ich bin fünfzehn, in Dänemark sind gerade Abschlussprüfungen.“
„Was musst du denn schreiben?“
„Na zum Beispiel hatten wir schriftliche Dänischprüfung. Da sollten wir Stellung nehmen zu der Untersuchung einer Forscherin, dass etwa die Hälfte der dänischen 16- bis 24-Jährigen nicht ausreichend schläft. Sie sagt, dass bei Schlafmangel über einen längeren Zeitraum sich das Gehirn nicht richtig erholen kann, und das kann zu Depressionen und sogar zu Herzschwäche oder Diabetes führen.“
„Warum schlafen die Teenager in Dänemark nicht?“
„Die Forscherin sagt, dass der Schlafmangel vor allem auf übermäßigen Konsum an Sozialen Medien und zu langer Bildschirmzeit direkt vor dem Zubettgehen zurückzuführen ist.“
„Und was sagst du dazu?“
„Sie hat recht. Ich ertappe mich ja selbst dabei, dass ich zu lange am Bildschirm hänge. Aber ich tue nun etwas dagegen. Ich schalte meine Gadgets schon eine Stunde vor dem Zubettgehen vollständig aus und lege sie in ein anderes Zimmer. Ich lese lieber oder zeichne. Oder ich schreibe in mein Tagebuch.“
„Und, hilft das?“
„Oh ja, seit ich täglich meine Gedanken und Gefühle in mein Tagebuch niederschreibe, schlafe ich tatsächlich viel besser. Ich habe mir angewöhnt, zum Schluss immer etwas Positives zu notieren, ein gutes Zitat oder etwas Schönes. Ich finde, die beste Art einen Tag zu beenden ist, mit positiven Gedanken im Kopf schlafen zu gehen. Aber was ist mit dir, woher kommst du und warum schläfst du eigentlich um diese Zeit nicht?“
„Ich bin Ukrainer, nur ein Jahr älter als du übrigens. Ich konnte ziemlich gut und vor allem echt lange schlafen, als alles noch friedlich war. Wir Teenagerjungs können das prima.“
„Aber jetzt schläfst du nicht mehr gut, wie ich sehe.“
„Nein, fast gar nicht mehr. Du weißt ja, dass bei uns Krieg ist. Bis vor Kurzem ging es mit dem Schlafen einigermaßen, aber dann kam der Tag, der alles änderte.“
„Was ist passiert?“
„Angefangen hat es damit, dass wir kaum noch aus der Wohnung konnten, weil ständig Shaheds kreisen.“
„Shaheads?“
„Kamikaze-Drohnen. Russland lässt sie auf unsere Wohngebiete los, sie schwärmen aus und explodieren. Sie töten Menschen. Sie zerstören unsere Häuser. Wir hatten Angst, einkaufen zu gehen. Aber irgendwann sind meine Mama und meine Schwester los, weil wir wirklich nichts Essbares mehr im Hause hatten.“
„Wie schrecklich, kann man sich gar nicht vorstellen! Einkaufen gehen und dabei Angst um sein Leben haben. Sind sie okay, sind sie gut wieder nach Hause gekommen?“
„Sie sind okay ja. Ihnen ist auf dem Weg nichts passiert. Zynischerweise war ich es, der fast gestorben wäre.“
„Aber du warst doch zu Hause!?“
„Ja, und ich hatte echt noch Glück! Weißt du, wir haben ein Wohnzimmer mit Balkon, dann kommt der Flur und ganz innen im Gebäude ist unsere Küche. Ich war gerade in der Küche, als eine russische Rakete durch die Außenwand flog, direkt vor meinen Augen. Hier, ich schick dir das Foto. Siehst du den gelben Kreis? Das ist unsere Wohnung, dort schlug die Rakete ein. Und ich mittendrin. Mein bisheriges Leben verbrannte innerhalb von wenigen Minuten direkt vor meinen Augen. Wir konnten nicht mal ein paar Sachen retten, nicht mal einen Kochtopf oder Schuhe. Alles verbrannt und verrußt.“
„Ein Alptraum!“
„Wir sind sofort geflohen, haben jetzt in der Nähe der Hauptstadt eine kleine Unterkunft gefunden.“
„Aber das Erlebte raubt dir den Schlaf …“
„Ja, seitdem kann ich nicht mehr schlafen. Ich trau mich einfach nicht, die Augen zu schließen. Ich muss mich immer vergewissern, dass meine Mutter und meine Schwester bei mir sind. Ich lausche ständig nach draußen, damit ich die nächste Drohne nicht überhöre. Damit wir nicht verbrennen. Heute Morgen kreiste wieder eine Shahed direkt über uns. Ratterte über unseren Köpfen, jagte uns Angst ein. Verschnaufpausen gibt es nicht. Es nimmt einfach kein Ende. Ich werde noch sehr lange nicht gut schlafen können. Und ich kann nichts dagegen tun.“
https://https://www.dr.dk/nyheder/indland/et-stigende-antal-unge-smadrer-deres-soevn-ved-glo-paa-en-skaerm
http://www.dw.com/de/iranische-drohnen-gegen-die-ukraine/a-63548171