Viel zu wenig Schlaf

Wenn nicht die sozialen Medien, sondern der Krieg den Schlaf raubt

Fotos: privat

Zu wenig Schlaf

„Hej du, warum schläfst du nicht?“

„Ich hab Prüfungsstress.“

„Welche Prüfungen?“

„Ich bin fünfzehn, in Dänemark sind gerade Abschlussprüfungen.“

„Was musst du denn schreiben?“

„Na zum Beispiel hatten wir schriftliche Dänischprüfung. Da sollten wir Stellung nehmen zu der Untersuchung einer Forscherin, dass etwa die Hälfte der dänischen 16- bis 24-Jährigen nicht ausreichend schläft. Sie sagt, dass bei Schlafmangel über einen längeren Zeitraum sich das Gehirn nicht richtig erholen kann, und das kann zu Depressionen und sogar zu Herzschwäche oder Diabetes führen.“

„Warum schlafen die Teenager in Dänemark nicht?“

„Die Forscherin sagt, dass der Schlafmangel vor allem auf übermäßigen Konsum an Sozialen Medien und zu langer Bildschirmzeit direkt vor dem Zubettgehen zurückzuführen ist.“

„Und was sagst du dazu?“

„Sie hat recht. Ich ertappe mich ja selbst dabei, dass ich zu lange am Bildschirm hänge. Aber ich tue nun etwas dagegen. Ich schalte meine Gadgets schon eine Stunde vor dem Zubettgehen vollständig aus und lege sie in ein anderes Zimmer. Ich lese lieber oder zeichne. Oder ich schreibe in mein Tagebuch.“

„Und, hilft das?“

„Oh ja, seit ich täglich meine Gedanken und Gefühle in mein Tagebuch niederschreibe, schlafe ich tatsächlich viel besser. Ich habe mir angewöhnt, zum Schluss immer etwas Positives zu notieren, ein gutes Zitat oder etwas Schönes. Ich finde, die beste Art einen Tag zu beenden ist, mit positiven Gedanken im Kopf schlafen zu gehen. Aber was ist mit dir, woher kommst du und warum schläfst du eigentlich um diese Zeit nicht?“

„Ich bin Ukrainer, nur ein Jahr älter als du übrigens. Ich konnte ziemlich gut und vor allem echt lange schlafen, als alles noch friedlich war. Wir Teenagerjungs können das prima.“

„Aber jetzt schläfst du nicht mehr gut, wie ich sehe.“

„Nein, fast gar nicht mehr. Du weißt ja, dass bei uns Krieg ist. Bis vor Kurzem ging es mit dem Schlafen einigermaßen, aber dann kam der Tag, der alles änderte.“

„Was ist passiert?“

„Angefangen hat es damit, dass wir kaum noch aus der Wohnung konnten, weil ständig Shaheds kreisen.“

„Shaheads?“

„Kamikaze-Drohnen. Russland lässt sie auf unsere Wohngebiete los, sie schwärmen aus und explodieren. Sie töten Menschen. Sie zerstören unsere Häuser. Wir hatten Angst, einkaufen zu gehen. Aber irgendwann sind meine Mama und meine Schwester los, weil wir wirklich nichts Essbares mehr im Hause hatten.“

„Wie schrecklich, kann man sich gar nicht vorstellen! Einkaufen gehen und dabei Angst um sein Leben haben. Sind sie okay, sind sie gut wieder nach Hause gekommen?“

„Sie sind okay ja. Ihnen ist auf dem Weg nichts passiert. Zynischerweise war ich es, der fast gestorben wäre.“

„Aber du warst doch zu Hause!?“

„Ja, und ich hatte echt noch Glück! Weißt du, wir haben ein Wohnzimmer mit Balkon, dann kommt der Flur und ganz innen im Gebäude ist unsere Küche. Ich war gerade in der Küche, als eine russische Rakete durch die Außenwand flog, direkt vor meinen Augen. Hier, ich schick dir das Foto. Siehst du den gelben Kreis? Das ist unsere Wohnung, dort schlug die Rakete ein. Und ich mittendrin. Mein bisheriges Leben verbrannte innerhalb von wenigen Minuten direkt vor meinen Augen. Wir konnten nicht mal ein paar Sachen retten, nicht mal einen Kochtopf oder Schuhe. Alles verbrannt und verrußt.“

„Ein Alptraum!“

„Wir sind sofort geflohen, haben jetzt in der Nähe der Hauptstadt eine kleine Unterkunft gefunden.“

„Aber das Erlebte raubt dir den Schlaf …“

„Ja, seitdem kann ich nicht mehr schlafen. Ich trau mich einfach nicht, die Augen zu schließen. Ich muss mich immer vergewissern, dass meine Mutter und meine Schwester bei mir sind. Ich lausche ständig nach draußen, damit ich die nächste Drohne nicht überhöre. Damit wir nicht verbrennen. Heute Morgen kreiste wieder eine Shahed direkt über uns. Ratterte über unseren Köpfen, jagte uns Angst ein. Verschnaufpausen gibt es nicht. Es nimmt einfach kein Ende. Ich werde noch sehr lange nicht gut schlafen können. Und ich kann nichts dagegen tun.“

https://https://www.dr.dk/nyheder/indland/et-stigende-antal-unge-smadrer-deres-soevn-ved-glo-paa-en-skaerm

http://www.dw.com/de/iranische-drohnen-gegen-die-ukraine/a-63548171

Auf den Knien

Der Kniefall ist so fest verankert in unseren Traditionen, dass er im Allgemeinen keine zweiten Gedanken hervorruft.

Der Heiratsantrag auf dem Knie als Ausdruck der Liebe – ein Klassiker. Kniend beten als Zeichen der Demut und des Glaubens. Kniend wird man zum Ritter geschlagen. Auf Knien bittet man um Verzeihung, wie damals Willy Brandt in Warschau. Auf Knien bekundet man Solidarität, wie viele Sportler es in ihrem Statement gegen Rassismus tun. Auf Knien protestiert man friedlich für seine Überzeugungen. Man kniet, um seinen Intentionen Nachdruck zu verleihen.

Allerdings hat die Geschichte auch die Sitte hervorgebracht, Menschen in die Knie zu zwingen. Man tut es, um jemanden zu demütigen, zu unterwerfen, zu bestrafen, hinzurichten. Man will das Gefühl der Machtlosigkeit, Hilflosigkeit, Ohnmacht unwiederbringlich in das Gedächtnis des Gegenübers ätzen.

Der kleine Mann an seinem großen Tisch im Kreml benutzt den Kniefall seit Jahrzehnten als Metapher, um sein Volk auf sich einzuschwören. Sein Satz „Das russische Volk hat sich von den Knien erhoben, auf die der Westen ihn gezwungen hat“ wird seit Beginn seines Amtsantritts mit am häufigsten zitiert. Von kritischen Stimmen wird oft ein bissiger Kommentar hinzugefügt, dass das russische Volk hat sich von den Knien erhoben hat, um gleich danach vor seinem Gebieter in den Vierfüßlerstand zu sinken.

Der kleine Mann am großen Tisch will sein Nachbarland nicht nur knien sehen, sondern vernichten, von der Erde wischen. Seine Volksverhetzer wüten ungestraft in den täglichen Medienkanälen, rufen dazu auf, ukrainische Kinder zu ertränken, zu verbrennen, alle Ukrainer zu erschießen, ukrainische Frauen zu vergewaltigen:

https://www.rnd.de/politik/russia-today-feuert-kreml-propagandisten-nach-barbarischen-aussagen-im-fernsehen-HQN6JRAE3LOYG3VJV624UCMQDQ.html

Währenddessen beugen die Menschen in den ukrainischen Städten und Dörfern täglich ihre Knie. Jedoch nicht als Zeichen der Unterwerfung. Fährt eine Kolonne mit dem Sarg eines Gefallenen durch den Ort, lassen die Einwohner alles stehen und liegen, begeben sich an den Straßenrand und knien sich hin. Manche bekreuzigen sich, manchen werfen Blumen auf den Weg. Sie stehen gemeinsam auf den Knien und bezeugen somit ihre Achtung und Liebe, ihre Stärke und ihren Zusammenhalt.

Wie es Willi Brandt nach seinem geschichtsträchtigen Kniefall formulierte, tut man das, „was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.“

Quelle: Brandt, Willi (1989). Erinnerungen. Propyläen Verlag.

Natürlich lerne ich Dänisch, auch wenn ich schon 87 Jahre alt bin!

Anatolijs Geschichte darüber, wie er einst das größte Flugzeug der Welt baute und als 87-jähriger in Dänemark ein zweites Zuhause fand

Am 6. Februar 2022 versammelten sich am Flughafen in Billund viele Schaulustige, um ein einmaliges Ereignis zu bestaunen. Das größte Frachtflugzeug der Welt, die ukrainische Antonov AN-225, landete zum allerersten Mal in Dänemark und begeisterte sowohl die Mannschaft des Billunder Airports, als auch Flugzeugfans aus ganz Dänemark. Bis zu 2000 Menschen kamen, um das ukrainische Flugwunder „Mrija“ – übersetzt „Traum“ – live zu erleben.

Der Mann, der dieses Flugzeug in den 80er Jahren mitentwickelt hatte, ist der Ingenieur für Luftfahrttechnik Anatolij Juchymenko, ein Ukrainer aus Charkiw. Seine Stadt, sagt er, ist „die schönste Handelsstadt der Ukraine, beliebt bei Studenten mit ihren mehr als 40 Hochschulen und Universitäten, einem der größten Stadtplätze Europas, dem weltbesten Taras-Schewtschenko-Denkmal, wundervollen Parks und Gärten und Heimat der ersten Universität der Ukraine.“ In Charkiw verwirklichte Anatolij seinen Kindheitstraum und baute das größte Flugzeug der Welt.

Der heute 87-jährige Anatolij ist zu Recht stolz auf seine Stadt und auf sein Lebenswerk. Sein Antonov-Flugzeug reiste durch die ganze Welt zu Ausstellungen, wurde stets zuverlässig eingesetzt, wenn kein anderes Fluggerät bestimmten Herausforderungen gerecht wurde. Wo immer die AN-225 auftauchte, warteten Hunderte Fans darauf, das fliegende ukrainische Nationalsymbol einmal starten oder landen zu sehen.

Dieser Traum ist nun ausgeträumt. Anatolijs Flugzeug wurde nur etwa vier Wochen nach seinem Triumph in Billund in den ersten Tagen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine vollständig zerstört.

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/antonow-225-in-ukraine-groesstes-frachtflugzeug-der-welt-zerstoert-17936541.html

Auch Anatolijs Leben änderte sich von Grund auf. In den ersten Kriegswochen verlor er nicht seinen Mut, hielt durch, passte seinen Alltag an den Krieg an. „Dann jedoch“, erzählt er, „begannen die russischen Barbaren, Charkiw zu bombardieren. Sie beschossen jedoch nicht militärische Objekte, sondern Wohnhäuser, Schulen und Krankenhäuser. In meinem Nachbarhof explodierte eine Rakete. Die Druckwelle ließ nicht nur das Fensterglas splittern, sondern sie riss auch die Fensterrahmen komplett aus den Wänden.“

Um sich vor den Bomben zu schützen, hastete Anatolij in den Keller seines Wohnhauses, stürzte dabei schwer und verletzte sich am Rücken. Mitten im Bombenhagel war er drei Wochen bettlägerig und litt starke Schmerzen. Ein Segen, dass sein Enkel in der Stadt wohnt und sich, so gut es eben ging, um ihn kümmern konnte.

Anatolijs ihm eigener Optimismus und seine Entschlossenheit halfen ihm, wieder auf die Beine zu kommen. Er machte sich auf den 2400 Kilometer langen Weg nach Dänemark, wo seine Tochter lebt. Anatolij erzählt mit Dankbarkeit, wie viele Freiwillige er auf seiner Flucht traf und wie engagiert diese halfen, egal wo er hinkam.

Und das erste, was er gleich nach seiner Ankunft in Süddänemark tat, war, sich bei einem Dänisch-Sprachkurs anzumelden. Seine Sprachgruppe bestaunte den rüstigen Senioren. Anatolij versteht diese Bewunderung gar nicht: „Natürlich lerne ich Dänisch, auch wenn ich 87 bin! Dieses Land hat mir Zuflucht gegeben, da muss ich doch wenigstens die Sprache können!“

Vor zwei Wochen bestand ein stolzer Anatolij seinen ersten Dänisch-Modultest mit Bravour und erntete großes Lob. Seine Motivation und sein ungebrochener Optimismus sind bewundernswert.

„Aber manchmal“, gesteht er, „habe ich Alpträume davon, dass ich hier auf Dienstreise bin und mich quält das schlechte Gewissen, mich in meiner Flugzeugwerft nicht ordnungsgemäß abgemeldet zu haben. Das ist mir in meinem gesamten Arbeitsleben nie passiert, und ich fühle mich schrecklich deswegen!“

Wir können ihn verstehen. Mit dem Herzen ist er noch im zerbombten Charkiw und trauert um sein Flugzeug.

Bild: Anatolij Juchymenko, Jahrgang 1935. Foto privat, aufgenommen in Süddänemark 2022.

Interessante Einsichten in die Psyche belarussischer Sicherheitskräfte

Foto: Valery Tenevoy auf Unsplash

Die Bilder, die uns derzeit aus dem aufbegehrenden Iran erreichen, sind den Belarussen wohlbekannt. Auch sie erlebten seit Jahren – vor allem seit der offensichtlichen Fälschung der Präsidentschaftswahlen im August 2020 – die Grausamkeit der regierungstreuen Spezialeinheiten, die jedwede Protestbewegung gegen Diktator Lukaschenka erbarmungslos niederknüppeln.

Immer noch werden regierungskritische Belarussen aus ihren Wohnungen geholt, am Arbeitsplatz verhaftet, beim Einkaufen abgefangen. Für ein „Like“ in den Sozialen Medien kann man leicht eine mehrjährige Gefängnisstrafe erhalten. Wie im Iran sind auch in Belarus Willkür, Folter und Mord an der Tagesordnung. Die Zahl der politischen Gefangenen wächst täglich (https://prisoners.spring96.org/en).

Die spezielle Einsatzgruppe in Belarus, der OMON, ist berüchtigt und gefürchtet. Ist man erst in den Fängen dieser maskierten und schwer bewaffneten Frauen und Männer, muss man um seine Gesundheit und sein Leben fürchten (https://www.dw.com/de/die-brutalit%C3%A4t-der-belarussischen-polizei-was-ist-der-grund-daf%C3%BCr/a-55789504).

Allerdings sind inzwischen die belarussischen Spezialkräfte nicht mehr die alleinigen Herren in ihrer Hauptstadt Minsk. Der Angriff Russlands auf die Ukraine wurde von belarussischem Territorium gestartet. Das russische Militär ist seit Jahresbeginn 2022 fest in Belarus stationiert und es ist nicht abzusehen, wann es wieder abziehen wird. Viele Belarussen sagen von ihrem Land, es wäre okkupiert. Ihre Freiheit ist nun doppelt unterdrückt, von ihrer eigenen Regierung auf der einen, und von den russischen Militärs auf der anderen Seite.

Hochrangige russische Staats- und Militärangehörige mieten sich seitdem in Minsk in den besten Wohngegenden ein, wobei sie besonders durch ihre Rücksichtslosigkeit und Überheblichkeit auffallen. „Sie benehmen sich, als ob alles hier ihnen gehört!“, empört sich unsere gute Freundin Marina aus Minsk. Sie war aktive Teilnehmerin an den Protesten in 2020 und kennt die Methoden des OMON aus eigener Erfahrung. Deshalb brannte sie darauf, uns von einer höchst erstaunlichen Begegnung zwischen belarussischen Spezialkräften und russischen „Neubürgern“ zu erzählen.

Marinas Wohnung liegt in einem zentrumsnahen gepflegten Altbaugebäude mit einem ansprechend begrünten Innenhof, wo alle Mieter sich kennen und sich sehr bemühen, Park und Hof sauber und gemütlich zu erhalten. Neulich parkte ein neuer russischer Mieter seinen BMW mitten auf dem Spielplatz, wobei er einen Teil der Grünfläche und mehrere Pflanzen niederwalzte. Ein alteingesessener Mieter bat ihn nachdrücklich, dies doch bitte zu unterlassen und sein Auto umzuparken. Der Russe wurde aggressiv, beschimpfte den Mann, wurde handgreiflich. Der Belarusse blieb unbeirrt und wiederholte, dass alle Mieter ihren Hof gemeinsam pflegen und sie Vandalismus nicht zulassen würden.

Der Russe wurde nur noch wütender und forderte schließlich die Spezialeinheiten an, damit sie den Belarussen abholten. Er tobte, dass keiner das Recht hätte, ihm hier Anweisungen zu geben! Der blöde Eingeborene würde schon sehen, wer hier zu bestimmen hätte! Die Jungs vom OMON würden ihm eine Lektion erteilen, die würde er sein Leben lang nicht vergessen!

Die anderen Nachbarn liefen herbei und nahmen ihren Freund mit ins Haus, während der Russe in sein Telefon schrie. Als ein maskierter Spezialtrupp eintraf, wies der Russe die Polizisten an, alle Wohnungen des Hauseingangs zu durchsuchen, in dem die Nachbarn mit ihrem Schützling verschwunden waren.

Unsere Freundin wohnt im 4. Stock dieses Hauseingangs. Sie wusste, wo der Mann sich versteckt hielt. Natürlich waren alle Nachbarn bei Ankunft des OMON hinter ihren Wohnungstüren verschwunden und warteten nun darauf, dass der Spezialtrupp alles durchsuchen würde. Sie hatten Angst davor, was mit ihnen allen passieren würde.

Durch ihren Türspion beobachtete Marina jedoch eine erstaunliche Szene. Die OMON-Polizisten kamen die Treppe herauf. Normalerweise hämmern sie an alle Türen und fordern die Menschen auf, den Gesuchten herauszugeben. Diesmal liefen sie einfach hoch bis vor die Tür unserer Freundin, ohne irgendwo anzuklopfen, standen ein bisschen auf dem Treppenabsatz herum, rauchten zusammen eine Zigarette und unterhielten sich leise. Danach gingen sie wieder hinunter und sagten zu dem Russen: „Wir haben ihn nicht gefunden. Da kann man nichts machen, Kumpel“, setzten sich schulterzuckend in ihren Dienstwagen und fuhren davon.

Hunde-Teich und Menschen-Krieg

Stimmen aus Moskau

Moskauer, 66 Jahre alt

Ich möchte dir erzählen, was es Neues in der Hauptstadt gibt. Denk daran, das sind nur meine persönlichen Beobachtungen. Ich sehe weder staatliches Zombie-TV, noch konsumiere ich gängige Soziale Medien – dort findet man nichts Informatives, reiner Propaganda-Unsinn.  

Im Allgemeinen ist es in der Stadt ruhig – als ob es keinen Krieg gäbe. Wie kann das sein? Ich will es erklären. 

Den Behörden ist es bisher gelungen, die Einzelhandelspreise für Lebensmittel zu halten, wenn auch auf hohem Niveau. Für Haushaltstechnik nicht. Die Sanktionen wirken hier schon, aber ein gewöhnlicher Moskauer kauft nicht jeden Tag einen Kühlschrank (ausländische Markenware ist fast verschwunden) oder wechselt eine Waschmaschine.  

Die Propaganda ist irgendwie zielgerichteter geworden, meine ich. Es laufen Sendungen über den Krieg, aber meistens im Talkshow-Format und Gott sei Dank nur auf föderalen Kanälen. Also, wenn du willst, kannst du was zum Krieg erfahren, aber wenn nicht, dann schau Liebesfilme oder Tiersendungen. Und deshalb manifestieren sich Proteststimmungen nur in Form von Graffiti (siehe Foto – Foto: privat. Aufschrift auf dem Schild „Hunde-Teich“. Handschriftlich quer darüber „… und Menschen-Krieg“) oder in privaten Gesprächen. 

Zum Beispiel im Supermarkt. Ich stehe am Tee-Regal. Ein Mann kommt, schaut auf das Preisschild und flucht: „Zur Hölle mit der Spezialoperation! Wozu brauche ich den Donbass? Was haben die da oben uns nur eingebrockt?!“ 

Moskauerin, 53 Jahre alt 

Schon so viele Tage erleben wir den Albtraum, den Krieg. Ich habe Freunde und Verwandte in der Ukraine … Fast alle meine Freunde haben Freunde und Verwandte in Charkiw, Mariupol, Odessa, Lviv, Kiew … Ich bete, dass alle am Leben bleiben. 

Gott sei Dank habe ich noch einen Job. Leider sind viele schon ohne. Mit unserer Wirtschaftslage ist alles klar, das weißt du selbst. Aber Preiserhöhungen kann man überleben, das Fehlen von Markenwaren auch, Hauptsache, die Menschen bleiben am Leben. Im Fernsehen gibt es von morgens bis abends Gehirnwäsche, aber das ist ja nicht erst seit jetzt so. Sie beschließen ständig irgendwelche absurden Gesetze und Strafen … 

„Kriegsenthusiasten“ habe ich in meinem Umfeld nicht getroffen. Ich bin froh, dass ich mit normalen Menschen Umgang habe. Aber natürlich gibt es sie, leider. 

Jedenfalls sind die Preise explodiert. Es ist so, dass wir jetzt (bestenfalls) das Doppelte für Lebensmittel ausgeben müssen. 

Ein Teil der Ersparnisse liegt auf der Bank, in harter Währung. Man kommt nicht an sein Geld, sie bieten an, es zum Wechselkurs in Rubel auszuzahlen (da darf man sich vor Dankbarkeit bis zur Erde verneigen). 

Relativ preisgünstige Bekleidungsmarken (Zara, Mango, Massimo Dutti usw.) gibt es nicht mehr. Ich weiß nicht, wo ich meine Tochter jetzt einkleiden kann. 

Auch habe ich jetzt Probleme mit ihrer schulischen Zusatzausbildung, sie wird ihre Prüfung nicht ablegen können, um ihr Englischniveau zu bestätigen. Die Online-Plattform, auf der sie ihre Hausaufgaben gemacht hat, funktioniert nicht mehr … Gott sei Dank haben wir hier einige Muttersprachler (Amerikaner, Australier) vor Ort. 

Wir haben Probleme mit Medikamenten, die Leute haben die Apotheken leergekauft, haben alles gerafft, was sie konnten. 

Russland ist sehr abhängig von modernen Technologien, Komponenten usw. Wir waren und sind bis heute ein Rohstoffland. Der vielzitierte Slogan vom problemlosen „Ersatz der Importwaren“ (durch Waren aus russischer Produktion) ist im Grunde Schwachsinn. 

Und weiter kannst du einfach alles hintereinander auflisten. Autos (keine Ersatzteile mehr, Zunahme der Diebstähle, Erhöhung der Versicherungskosten), Urlaub (keine Flugzeuge, keine Ersatzteile, die Grenzen sind geschlossen), Lebensmittel und Medikamente (siehe oben), Kommunikation und Netz (sie schreiben, dass die Geräte 3-4 Monaten problemlos arbeiten können, danach wird es die ersten Unterbrechungen geben, die Preise steigen), Firmen schließen (steigende Arbeitslosigkeit, Kriminalität usw.), Technik und Kleidung (alles Importwaren bisher … China wird uns helfen. Klamotten im Tausch gegen Rohstoffe). Forschungs- und Bildungsprogramme sind von Schließung bedroht. Wir sind jetzt Aussätzige. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Tochter ihre Sprachkenntnisse (Englisch, Deutsch) in naher Zukunft nutzen kann. 

Meinem Kind wurde von einem Tag auf den anderen seine Zukunft geraubt. Aber vor dem Hintergrund dessen, was in der Ukraine passiert, ist alles zweitrangig. Ich denke mit Entsetzen an Menschen, die alles verloren haben, die aus ihren Häusern vertrieben wurden, man kann von Glück sagen, wenn sie und ihre Angehörigen am Leben gelassen wurden … warum, aus welchem Grund? Es entsetzt mich, dass es Leute gibt, die denken, dass das richtig ist…. Ich verstehe es nicht. 

Natürlich ist es schwer, in einem anderen Land zu sein, wenn die Heimat mit Blut überschwemmt wird 

Hier ist die Geschichte meines Lebens. Mein Name ist Inna. Ich wurde in der Ukraine, in der Stadt Winnyzja, geboren. Ich habe einen jüngeren Bruder. Meine Eltern waren Ingenieure. Als ich 3 Jahre alt war, zogen wir in ein Dorf in der Nähe von Winnyzja. Meine Großeltern lebten dort. Hier bin ich zur Schule gegangen. Ich habe auch auf dem Bauernhof mitgeholfen. Wir hatten Hühner, Gänse, Schweine, meine Großmutter hielt eine Kuh. Mir machte es Spaß, mit Beeten zu arbeiten, verschiedenes Gemüse und Blumen zu pflanzen.  

Nach dem Abitur begann ich zunächst eine Ausbildung an der Landwirtschaftlichen Fachschule, danach absolvierte ich die Landwirtschaftliche Universität der Stadt Winnyzja. 

Mein Leben verlief wie das aller anderen. Ich habe studiert, neue Menschen kennengelernt. Ich lernte viel Neues. Von einem Tag auf den anderen jedoch änderte sich mein Leben dramatisch. Eines Abends fuhr ich bei Freunden im Auto mit. Plötzlich blendete mich riesiges Licht und dann folgte ein Schlag. Als ich zu mir kam, lag ich im Krankenhaus. Mein ganzes Gesicht war einbandagiert. Meine Hände. Meine Beine. Ich hatte solche Angst, in einen Spiegel zu schauen. Ich dachte wirklich, das wäre das Ende. Aber alle haben mich in jeder Hinsicht unterstützt, besonders meine Freundin. Schritt für Schritt. Jeden Tag erwachte ich neu zum Leben. Weißt du, was ich wirklich mag, ist Regen. Ich liebe es, im Regen zu sein, ich habe mich seitdem immer über den Regen gefreut und im Regen geweint. Denn im Regen sieht man meine Tränen nicht. 

Das Leben wurde allmählich besser. Ich fing an zu arbeiten. Ein Auge jedoch heilte nicht mehr. Mit der Zeit lernte ich meinen zukünftigen Ehemann kennen. Er liebte mich so, wie ich bin. Wir bekamen einen Sohn und später eine Tochter. 

Wir haben ein kleines Wochenendhaus, in dem ich mit meinen Kindern fast den ganzen Sommer verbrachte. Dort ist es sehr schön und ruhig, und obwohl man dort körperlich arbeitet, ruht die Seele aus. 

Ich will ehrlich sein. Dieser Unfall hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Trotzdem rechnete ich nicht damit, dass noch etwas viel Schrecklicheres passieren würde. So vergingen die Jahre wie im Flug. Die Kinder wurden größer. Kamen in die Schule, lernten. Das Leben ging weiter. Wie du ja weißt, begann dieser Krieg im Jahr 2014, als russische Truppen auf der Krim und im Osten der Ukraine einmarschierten. Er dauert schon acht Jahre. Krieg ist das Schrecklichste auf der Welt. Aber damals machten wir weiter und passten uns scheinbar an die Situation an. 

Der Morgen des 24. Februars 2022 hat das Leben des ukrainischen Volkes auf den Kopf gestellt. Eine Freundin rief mich an und sagte: „Inna, es ist Krieg!“ Die Zeit blieb tatsächlich schlagartig stehen. Es verschlägt einem die Sprache. Man weiß nicht, was man tun soll. Es lässt sich nicht in Worte fassen. Jeden Tag mehrmals täglich Sirenengeheul. Und ständig Angst. Angst um die Kinder. Angst vor dem, was als nächstes passieren wird. Du hörst Nachrichten und kannst nur weinen, Hörst, wie mein Volk stirbt. Dass russische Orks* Frauen und Kinder gnadenlos misshandeln. Sie fesseln ihre Hände und erschießen sie. Sie vergewaltigen Kinder. Und Frauen. Und dann töten sie sie nach der Folter.  

* Im neuen Sprachgebrauch heißen die Soldaten der russischen Armee nur noch „Orks“, wie die bösen, teuflischen Gestalten aus den alten Sagen, die durch Tolkiens „Herr der Ringe“ weltweit bekannt wurden – “plündernde Banden unmenschlicher Wesen und willige Vollstrecker des Bösen“. 

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Ork 

Wie viel Grausamkeit und Bosheit diese Unmenschen in sich haben. Und vor allem, weswegen? Die Menschen begannen, die Ukraine zu verlassen. Und ich beschloss, auch zu flüchten. Aus Angst um die Kinder. 

Am 5. März verließen wir unsere Verwandten, unser Zuhause, wir kamen um ein Uhr morgens an die Grenze zu Polen, wir standen fast sechs Stunden an, es war sehr kalt, die Kinder froren und wir überquerten die Grenze erst morgens. In Polen wurden wir auf die Aufnahmestellen verteilt. Wir verbrachten eine Nacht in einem dieser Zentren. Die Polen haben uns sehr gut behandelt. Es gab reichlich zu essen.  

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht warum, aber wir entschieden, nach Berlin zu gehen. Wir wussten nicht, was uns erwartet und was als nächstes passieren würde. Wir kamen in Berlin an, wieder an einem dieser Orte, wo wir von Freiwilligen empfangen wurden. Wir wurden gebeten zu warten und sagten, dass uns jemand abholen würde. 

Sie sagten, dass eine Familie uns aufnehmen möchte. Ungefähr nach einer halben Stunde kam Frank. Wir wurden sehr gut empfangen. Frank hat eine wundervolle Familie. Sie haben uns bei allem geholfen. Sie haben uns ein Zimmer gegeben. Sie haben uns Kleidung und Essen gekauft. Wir sind ihnen unendlich dankbar. Frank hat uns eine Wohnung gegeben. Uns geholfen. Er ist ein sehr guter und freundlicher Mensch. Und wir sind ihm nicht nur dafür dankbar.  

Wir sind Frank auch dankbar, dass er uns seinen Kollegen Roger und dessen Bekannte Julia vorgestellt hat. Roger ist ein Mensch mit großem Herzen. Roger hilft uns sehr, bei allem. Ich möchte unbedingt Julia danken. Julia stand uns bei, als wir es am meisten brauchten.  

Und ich möchte Deutschland Danke sagen. Wir sind Deutschland dankbar, dass es uns in einer für uns schweren Zeit aufgenommen hat.  

Natürlich ist es schwer, in einem anderen Land zu sein. Wenn die Heimat mit Blut überschwemmt wird. Mit Schreien und Tränen. Jeden Tag schmerzt meine Seele, trauert um das Heimatland. Das Land, in dem ich geboren wurde. Lebte. Wo meine Erinnerungen zurückblieben. Meine Eltern, Verwandten. Aber die Unterstützung unserer deutschen Freunde zeigt uns, dass wir nicht allein sind, sie geben uns die Chance, glücklich und selbstbewusst zu sein. 

Wie kannst du nur so etwas Schreckliches sagen!

Mohnblumen blühen als erste auf den Schlachtfeldern dieser Welt.

Telefonat einer jungen Ukrainerin mit ihrer Tante in Russland

„Hallo Tantchen, wie geht es dir, wie geht es den Kindern?“

„Oh, uns geht es gut! Deine Cousine geht wieder arbeiten, der Kleine ist jetzt im Kindergarten. Er macht sich prächtig. Seine beiden Schwestern gehen in die Schule, alles ist bestens.“

„Das ist schön zu hören. Meine Kinder können ja nicht in den Kindergarten, weil …“

„Ja, Kindchen, warte nur noch ein bisschen, dann kommen Unsere! Die russische Armee befreit euch bald von den Banditen!“

„Tante, das sind keine Befreier! Die werfen Bomben auf uns, beschießen uns! Wir haben Angst, ich und die Kinder! Wie würdest du dich fühlen, wenn deine Tochter und deine Enkel von der ukrainischen Armee beschossen werden würden?“

„Wie kannst du nur so etwas Schreckliches sagen, uns so etwas wünschen! Was bist du für ein furchtbarer Mensch! Aber so seid ihr Ukrainer – Unmenschen seid ihr, Unmenschen!“

Nie wird ein Russe dem Ukrainer ein Bruder sein …

Gedicht von Anastasia Dmytruk

Übersetzung von Ira Bogovic

/

Niemals werden wir Brüder sein!
Nicht durch Heimat, nicht durch Geburt.
Euer Geist ist nicht geschaffen, frei zu sein –
nicht mal als Halbgeschwister seid ihr gut genug.
Als Brüder nennt ihr euch die „älteren“ –
wir sind gern die jüngeren, aber nicht die euren.
Ihr seid so viele, jedoch alle gesichtslos.
Ihr seid groß, wir jedoch großartig.
Ständig bedrängt ihr uns … könnt es nicht lassen,
bis ihr an eurem Neid erstickt.
Freier Wille ist euch unbekannt,
werdet schon als Kinder in Ketten gelegt.
Bei euch zu Hause ist „Schweigen – Gold“
wir aber werfen Molotow-Cocktails,
ja, in unseren Herzen fließt heißes Blut,
wie könnt ihr Blinden unsere „Verwandten“ sein?
Wir alle haben furchtlose Augen,
sind auch als Unbewaffnete furchteinflößend.
Sind erwachsen geworden und tapfer
unter den Zielfernrohren von Scharfschützen.
Sind in die Knie gezwungen worden –
und sind wieder aufgestanden und haben alles gerichtet.
Vergebens werden sich die Ratten verstecken und beten –
in Blut werden sie baden, in ihrem eigenen.
Ihr gehorcht immer neuen Befehlen –
wir entfachen ein Feuer der Rebellion.
Ihr habt euren Zar, wir haben Demokratie.
Niemals werden wir Brüder sein.

https://dmytruk.com.ua/nykohda-myi-ne-budem-bratyamy/

Vertonung des Gedichts als Video:

„Ich schreibe ihr weiter, immer wieder – obwohl sie seit dem ersten Kriegstag offline ist“

Gespräch in einer Flüchtlingsunterkunft

Augenzeugenbericht von Natascha, Gebiet Charkiv. Jetzt im Flüchtlingsheim in Nordschleswig/Sønderjylland.

„Wir wohnten in einem Dorf bei Charkiw, hatten eine kleine Schweinefarm.

Als der Krieg begann, waren Charkiw und Umgebung sofort unter Beschuss. Nach einer Weile hatten wir uns einigermaßen an den Bombenalarm und die Geräusche der Granateneinschläge gewohnt.

In der Nacht unserer Flucht jedoch traf es unser Dorf. Ein Dorf! Dort war kein Militär oder ein wichtiges Objekt oder so. Einfach ein Dorf. Ich konnte es nicht glauben.

Die Einschläge waren ganz dicht, ich hatte Angst, es war laut. Ich legte mich mit den beiden kleinsten Kindern auf den Teppich, mit meiner vierjährigen Tochter und meinem einjährigen Sohn. Der Kleine war unruhig und ich deckte ihn mit meinem Morgenmantel zu. Wir waren ja im Schlafanzug alle, es war ja mitten in der Nacht. Auch meine Tochter nahm ich unter den Morgenmantel, weil plötzlich das Fenster splitterte und die Glasscherben auf uns drauffielen.

Nach der Explosion schüttelte ich, so gut es ging, die Scherben ab und trug meine Kinder auf dem Arm, damit sie nicht in die Glassplitter traten und sich verletzten.

Ich war wie betäubt, schlich vorsichtig zum Fenster, weil es da draußen brannte und ich wissen wollte, ob wir schnell aus dem Haus raus müssen.

Es hatte das Nachbarhaus getroffen, es brannte an allen Ecken, das ganze Haus war umgeben von riesigen Flammen. Alles verbrannte dort, und ich wusste, darin war meine liebe Nachbarin, schwanger im 5. Monat, und ihr kleines Mädchen. Sie sind verbrannt und ich musste zusehen. Dieses Bild werde ich nie vergessen, wie ein Film läuft es wieder und wieder in meinem Kopf.

Mein Mann kam angerannt, wir haben uns zugerufen, dass wir hier wegmüssen. Dann sind wir ins Auto gestiegen und losgefahren. Ich sagte zu ihm, fahr so weit weg, wie es geht.

Anmerkung der Verfasserin: Ukrainische Männer im Alter zwischen 18 und 60 dürfen seit dem 1. Kriegstag das Land nicht verlassen. Die Ausreise wird jedoch gestattet, wenn die Familie mehr als drei Kinder hat oder ein pflegebedürftiges Familienmitglied.

Wir fuhren durch Polen und ich sagte zu ihm, fahr weiter. Weiter, weiter weg.

So sind wir nach Dänemark gekommen. Erst in ein anderes Flüchtlingslager und jetzt in dieses hier.

Als wir nach unserer Ankunft hier das erste Mal mit den Kindern raus gingen, roch die Luft nach Landwirtschaft. Ich atmete tief ein und aus, dachte an unser Zuhause und die Farm und sagte meinem Mann, hier ist es gut, hier können wir bleiben. Ich hoffe sehr, dass wir wieder auf einer Schweinefarm arbeiten können, das wollen wir gerne.

Es ist natürlich schwer, so weit weg von Zuhause. Meine Patentante, die liebe ich über alles. Wir schrieben uns immer über Viber. Aber gleich am ersten Tag nach Kriegsbeginn verschwand sie aus dem Chat. Sie ist offline seit dem 25. Februar. Ich weiß nicht, was mit ihr ist. Aber ich schreibe ihr immer weiter, immer wieder. Obwohl sie offline ist. Ich schreibe ihr, weil ich sie damit am Leben erhalte.“

Ich weiß, dass nach der tiefsten Dunkelheit das Licht immer seinen Weg findet

Eine 25-jährige Medizinstudentin aus Lviv erzählt mir von ihrem Leben nach der Flucht.

Wann bist du nach Dänemark gekommen?

Ich kam am 16. März nach Dänemark.

Warum Dänemark?

In Dänemark habe ich Familie und Freunde, die mir in einer so schwierigen Zeit geholfen und mich und meine Mama unterstützt haben!

Welche Gefühle verbindest du mit deiner Flucht?

Ganz unterschiedliche. Unruhe, Sehnsucht nach den verbliebenen Angehörigen, die ständige Angst um sie, um unsere Heimat, um unser Land! Das Gefühl, von zu Hause weggelaufen zu sein, wo wir doch im Heimatland etwas Gutes tun könnten. Aber wir versuchen, unseren Landsleuten zumindest aus der Ferne zu helfen!

Was waren für dich die wichtigsten Momente des letzten Monats?

Ich empfinde große Dankbarkeit für die Hilfe, Unterstützung und Fürsorge von Seiten der Dänen, sie ist jetzt sehr wertvoll und notwendig.

Wie geht es dir emotional?

Es ist schwierig, du wechselst ständig zwischen zwei Situationen. Wenn du zu Hause anrufst und dort alles schlecht ist, und dann wieder erinnerst du dich, dass du hier bist und alles ist gut. Es ist auch sehr schwierig, sich selbst zu motivieren, sich dazu zu zwingen daran zu glauben, dass alles gut wird!

Was hilft dir, mit der Situation umzugehen?

Menschen, ihre moralische und praktische Unterstützung, ihre Fürsorglichkeit. Und auch die eindrucksvollen Landschaften in Dänemark.

Welchen Schwierigkeiten siehst du dich gegenüber?

Zunächst einmal die Sprachbarriere. Ich möchte Dänisch lernen, um mit diesen unglaublich tollen, dich anlächelnden Menschen kommunizieren und sie verstehen zu können!

Was glaubst du, was bringt die Zukunft?

Ich weiß, dass nach der tiefsten Dunkelheit das Licht immer seinen Weg findet, ich verliere also nicht den Mut! Ich glaube daran, dass sich alles zum Besseren wenden wird!

Wo siehst du dich in fünf Jahren?

Das ist jetzt schwer zu beantworten. Auf der einen Seite will ich natürlich nach Hause. Andererseits sehe ich hier in Dänemark großartige Perspektiven für mich.

Wie würdest du am liebsten deinen nächsten Geburtstag feiern?

Mit meiner ganzen Familie und als großes, rauschendes Fest!

Die bärtige Katzenmama

„… der Wind in der Ukraine weht gerade sehr stark und kalt. Aber es wird nicht immer so sein. Und wo Liebe ist, da ist immer genug Wärme, damit die menschliche Seele gedeihen kann.“

Marina Lewycka in „Eine kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“

Stell dir vor, du siehst toll aus, bist Schauspieler, hast Erfolg, trittst in TV-Shows auf, wirst verehrt von deinen Fans. Du hast ein Leben voller Glamour und Stil. Du lebst in der Moderne und genießt die Annehmlichkeiten der neuen Reichen. Das Leben ist schön. Wenn alles so bleiben würde, wie es jetzt ist, könnte es nicht besser sein.

Quelle: Screenshot Instagram Account @surovtsev.alexei vom 22.4.22

Dann kommt ein Tag, der alles verändert. Es ist nicht deine Schuld. Du hast es nicht kommen sehen. Dein schönes Leben ist vorbei. Du stehst vor der Frage, wie um alles in der Welt es weitergehen soll …?! An diesem Punkt im Leben eines Menschen zeigt sich der wahre Charakter, das wahre Ich eines Jeden.

Beeindruckend, wenn dann ein Playboy und Superstar zu einem Helden wird, zu einem echten Helden, der den auf der Leinwand in den Schatten stellt.

Der ukrainische Schauspieler Alexei Surovtsev ist so ein Mensch. Als der Krieg in seinem Heimatland begann, entschied er sich gegen eine Flucht, um eine sehr emotionale und persönliche Mission zu vollbringen: Alexei rettet verwaiste Haustiere aus den Trümmern der zerbombten Häuser. Er hat ein privates Tierheim eingerichtet und versorgt die verletzten und verängstigten Tiere.

Quelle: Screenshot Instagram Account @surovtsev.alexei vom 22.4.22

Jeden Tag aufs Neue setzt er sich ins Auto und fährt durch seine zerstörte Heimat auf der Suche nach den Vierbeinern.

Quelle: Screenshot Instagram Account @surovtsev.alexei vom 22.4.22

In seinem Instagram-Account @surovtsev.alexei nennt er sich „Bärtige Katzenmama“, erzählt er über seine Rettungsaktionen und macht auf seine Mission aufmerksam. Gleichzeitig forscht er auf diesem Wege nach den Besitzern der Tiere oder findet ein neues Zuhause für seine geretteten Schützlinge.

Quelle: Screenshot Instagram Account @surovtsev.alexei vom 22.4.22

Eine erzählenswerte und inspirierende Lebensgeschichte!

Das fand auch exxpress.at und veröffentlichte ein Video und einen Artikel über Alexei, die wir gerne mit euch teilen:

Video:

Artikel:

https://exxpress.at/unser-held-des-tages-alexei-rettet-vierbeiner-aus-den-kampfzonen-der-ukraine/